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Caligari, Bilderflut und die Blechtrommel: Volker Schlöndorff spricht in Wiesbaden

Volker Schlöndorff hielt einen launigen Vortrag

Volker Schlöndorff hielt einen launigen Vortrag

Wiesbaden, 18. April 2015 – Volker Schlöndorff, geboren am 31. März 1939 in Wiesbaden ist in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um heute bei der Design-Konferenz „see-Conference“ auf dem Schlachthofgelände am Bahnhof zu sprechen. Nach seiner Anreise gestern und einem gemütlichen Beisammensein mit den Konferenz-Veranstaltern im Restaurant Bobbeschänkelche, sprach er heute auf der Bühne über die Kraft der Bilder und erklärte die Symbolik im Buch „Die Blechtrommel“ seines kürzlich verstorbenen Freundes und Autors Günter Grass.

Schlöndorff, der in seiner Jugend oft die „Parklichtspiele“ (heute Caligari Filmbühne) besucht hat, um dort Filme anzusehen, verließ Wiesbaden mit 16 Jahren, ging nach Paris, studierte Film, wurde international erfolgreich und bekam als einziger deutscher Regisseur einen Oscar und die Goldene Palme.

Heute war er freundlich, hemdsärmelig und ganz nah auf der Bühne in der Murnaustraße 1 zu sehen. Ohne Powerpoint („das mache ich das nächste Mal“) sprach Schlöndorff frei über die Macht der Bilder. Und den Unterschied zwischen digital und analog: „Alles ist heute instant. aber wir Menschen sind nach dem analogen Wesen gebaut. Wir sind überfordert von der digitalen Welt. Ende April letztes Jahr bin ich mit dem Rucksack drei Wochen durch Äthiopien gezogen und habe Fotos gemacht. Alle dort wollten gleich digital sehen, wie das Bild geworden war. Aber ich habe analog fotografiert. Mit Film. Das war für die wie Zauberei. Das kannten sie nicht.“ Dann erklärt Schlöndorff, wie für ihn Zeit mit Bildern in Beziehung steht: „Als ich vor 55 Jahren in Wiesbaden ersten Kurzfilm machte, ‚Die Wacht am Rhein‘ und Unter den Eichen im Schneideraum den Film geschnitten haben, war das ein wunderbares Gefühl, 35 Millimeter Film zu sehen. Ein Bild 24 mal pro Sekunde, jedes mal ist der Film etwas weitergegangen. Wenn man geschnitten hat, gab es eine Regel bei den Wochenschau-Cuttern wie lange eine Einstellung sein muss, fünf Sekunden waren so lang“, Schlöndorff breitet seine Arme aus und zeigt die Länge des Filmstreifens: „Zeit wurde anfassbar“.

Volker Schlöndorff zeigt die Länge eines Filmstreifens: "Fünf Sekunden waren so lang"

Volker Schlöndorff zeigt die Länge eines Filmstreifens: „Fünf Sekunden waren so lang“

Dann geht der Star-Regisseur auf das Geheimnis der Bilderwelt ein: „Das ist analog, so funktionieren unsere Emotionen. Wenn ich am Computer Film schneide, gibt es nur noch Augenblicke, keine Zeit mehr. Dann kommt Musiksoße drüber, die bindet. Man hat Sensationen, es passiert ununterbrochen etwas, aber man empfindet nichts.“

Schlöndorff sagt: „Wenn ich mit digitalen Mitteln daran arbeite, arbeitet mein Kopf analog mit langsamen chemischen Prozessen wie bei der Filmentwicklung. Früher war nicht alles besser, überhaupt nicht. Aber wir mussten ein Gefühl für Zeit haben.“ Dann sagt er: „Das Digitale ist der Verlust von Zeitgefühl, von Dauer überhaupt.“

Zur Erinnerung, so Schlöndorff, sei das emotionale Aufladen der Bilder nötig: „Ich kann mich nicht an etwas erinnern, wenn das Bild nicht emotional aufgeladen worden ist. Als ich zum ersten Mal kurze Lederhosen anziehen konnte, Luft am Körper, im Frühling, es war Sonne, im Taunus, daran erinnere ich mich. Und dieser Tag war auch das Ende des Zweiten Weltkriegs. Das sind Bilder, die sehe ich heute noch. Ich bin mir nicht sicher, ob die digitalen Bilder, die Bilderflut mit der wir umgehen, Spuren in uns hinterlässt, oder ob wir nur von einem Augenblick zum nächsten nachhasten.“ Schlöndorff beklagt die „audiovisuelle Diarrhoe“, den „Bildersalat“, der den ganzen Tag auf ihn niedergeht und der er abends mit einem guten Buch begegnet.

Schlöndorff erklärt „Ein Bild ohne eine Geschichte ist kein Bild. Damit das Bild Bild wird, muss es mir etwas erzählen.“ Und er spielt auf die prägenden Bilder an, die Menschen unserer Gesellschaft im Kopf haben: „Es sind etwa fünfzig an die wir gemeinsam denken. Als Gemälde etwa Jesus am Kreuz, die Mona Lisa, die Venus von Botticelli. Wenn Sie sich an Fotos erinnern: das Liebespaar, dass sich küsst an der Seine, das hungernde Kind, der erste KZ-Häftling der befreit wurde, Willy Brandts Kniefall in Warschau, Marilyn Monroe mit Rock über dem U-Bahn-Schacht, James Dean, der durch die Straßen geht in seinem Regenmantel.“

Zum Tod von Günter Grass titelte der Spiegel mit einer Blechtrommel

Zum Tod von Günter Grass titelte der Spiegel mit einer Blechtrommel

Dann spricht Schlöndorff über eine ganz besondere Bilder-Symbolik: Die Blechtrommel aus dem gleichnamigen Roman von Günter Grass, den Schlöndorff 1979 verfilmte und mit dem ihm der internationale Durchbruch gelang: „Diese Blechtrommel, das Spielzeug, gibt es in keinem Spielzeuggeschäft. Ich weiß das, weil wir versucht haben für den Film eine zu bekommen. Wir mussten sie bauen lassen.

Volker Schlöndorff zeigt seine Entwürfe der Blechtrommel für den gleichnamigen Film: "Alles hat eine Symbolik. Rot und weiß sind die Farben von Danzig"

Volker Schlöndorff zeigt seine Entwürfe der Blechtrommel für den gleichnamigen Film: „Alles hat eine Symbolik. Rot und weiß sind die Farben von Danzig“

Warum aber hat sich dieses Bild so eingeprägt, dass zum Tod von Günter Grass das Foto von diesem Objekt auf Zeitschriften-Titeln verwendet wird? Warum eine Trommel und keine Flöte, wie die Zauberflöte? Im Gespräch mit ihm bin ich drauf gekommen. Der Film hat nicht nur mit einem Jungen zu tun, der eine Trommel hat, sondern es geht um Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang der Nazis. Die Geschichte um dieses Kind läuft parallel mit dieser Nazi-Geschichte, er wird geboren zur selben Zeit wie die Partei, hat seinen ersten Schultag als Hitler an die Macht kommt und so weiter. Warum aber die Trommel? Hitler wurde der Trommler genannt, weil er Ende der 20er Jahre als erster die modernen Medien für einen Wahlkapf nutzte. Er kam im Zeppelin angeflogen, hat riesige Aufmärsche inszeniert, alles im Radio übertragen. Deshalb nannte man ihn den Trommler. nur da was er da erzänhlt hat, war wie wir wissen, keine höhere Wahrheit sondern war Blech. Deshalb heißt das Buch ‚Die Blechtrommel‘.“ Auch in Schlöndorffs Film ist die Trommel das zentrale Element: „Es gibt keine einzigen Aufnahme im Film ohne die Trommel irgendwo. Das Geheimnis ist die Trommel.“

In Anschluss an den Vortrag beantwortete Schlöndorff Fragen aus dem Publikum, unter anderem, was er dazu sagt, dass junge Menschen heute gerne sich selbst auf Fotoaufnahmen, sogenannten „Selfies“ sehen. Schlöndorff lächelt: „Den Drang hatten wir auch schon, nur hatten wir keine Handys und haben unseren Namen mit einem Messer in Baumrinde geritzt. Das Selfie ist nichts anderes, als der verzweifelte Versuch ein Stück Ewigkeit für sich zu ergattern.“

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 18. April 2015 von und getaggt mit , , , , , , .
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