Wiesbaden, 23. April 2015 – Klaus Bondam, (51), ehemals technischer Bürgermeister von Dänemarks Hauptstadt und “Fahrrad-Paradies” Kopenhagen, hat in seiner Amtszeit den Fahrrad-Anteil am Straßenverkehr in seiner Stadt von 10 auf 40 Prozent erhöht. Gestern sprach der Radler-Papst zum Auftakt der Veranstaltung „Wissenschaft findet Stadt“ im Stadtverordnetensitzungssaal des Wiesbadener Rathauses (MEIN WIESBADEN berichtete) zum Thema Radverkehr und gab Tipps, wie Wiesbaden zur „Fahrrad-Hauptstadt“ werden könnte.
Kernfrage seines Vortrages: Ist es möglich Wiesbaden zu „kopenhagenisieren“?
Gleich zu Beginn stellte Bondam klar: „Ich war sehr stolz, als mich eine Zeitung in einem Artikel zum ‚Radler-Papst‘ machte. Aber die Erhöhung des Fahrradverkehrs in Kopenhagen ist vor allem den Kopenhagenern zu verdanken.“ Damit eine Stadt den Radfahranteil erhöhen kann, sollten, laut Bondam, zuerst die richtigen Fragen gestellt werden: „Wir sollten uns fragen: ‚Welche Art Stadt wollen wir?‘, ‚Wo wollen wir leben und arbeiten?‘, ‚Wollen wir eine Umwelt in der Kinder zur Schule radeln können?‘. Wir brauchen sichere Schulwege, Fahrradstellplätze an der Schule, gute Verkehrsregeln an der Schule, Eltern und Kinder sollten das Radfahren unterstützen“.
Auch Prominente radeln in Dänemark. Hier zeigt Klaus Bondam in seinem Vortrag den dänischen Kronprinz Frederik mit seinem Sohn beim Radfahren
Bondam, zurzeit Direktor der dänischen Radler-Gemeinschaft “Cyklistforbundet“, will möglichst viele Menschen zum Radfahren bringen: „Wir müssen mit den Kindern beginnen. Es ist gut für Kinder körperlich aktiv zu sein. Sie sind konzentrierter in der Schule. Das ist wichtig für zukünftige Generationen.“ Warum das Radfahren in Dänemark so verbreitet ist? „Dänemark hat keine Autoindustrie“, sagt Bondam. Und: „Sie zahlen 180 Prozent Steuern auf Autos in Dänemark!“ Dann nennt er weitere Zahlen: „42 Prozent aller Arbeitsplätze in Kopenhagen werden mit dem Fahrrad erreicht. Die Dänen radeln jährlich den Weg von der Erde zum Uranus.“ Zur Bestätigung zeigt er das Foto von radelnden Dänen in allen Lebenslagen – auch eine radelnde Bestatterin mit Sarg auf dem Fahrradanhänger ist dabei.
„In Dänemark radeln wir von der Wiege bis zur Bahre“, sagt Bondam und zeigt eine radfahrende Bestatterin
„Die Politik ist essentiell“, sagt Bondam. Die Radler müssten sich sicher fühlen, müssten optimale Bedingungen haben. Dafür seien langfristige Planungen nötig: „Das ist nicht in 5 Jahren zu schaffen, da müssen Planungen für 10 – 20 Jahre gemacht werden“, so Bondam. Möglich seien dann Erfolge wie in Dänemark: 20 Prozent weniger CO2, 80 Prozent der Radler dort fühlen sich sicher, über 40 Prozent nehmen das Rad, es gibt halb so viele Fahrradunfälle wie früher. 2025 will Dänemark sogar CO2-neutral sein.
Für solche Ziele brauche man, laut Bondam, die politische Zustimmung in der Stadt, finanzielle Unterstützung für neue Projekte und Kommunikation mit den Bürgern.
Besonders finanziell ist Dänemark da gut aufgestellt: Der Cycling Fund hatte von 2009 bis 2014 in die Fahrrad-Förderung der dänischen Radfahr-Städte 130 Mio. Euro investiert. Jährlich könnten 40 Millionen Euro Gesundheitskosten durch die Steigerung des Radfahr-Anteils gespart werden.
Europäische Unterstützung erhofft Bondam von der European Cyclists Federation.
Seine praktischen Tipps für Radfahr-Städte: Radfahrwege sollten von Fußgängerwegen und Fahrbahnen für Autos getrennt werden, alle Verkehrsteilnehmer sollten sich sicher fühlen, Zähler an Ampeln die die Zeit bis zur nächsten Grün-Phase anzeigen, könnten helfen mehr ‚Grüne Welle‘ für Radfahrer zu erreichen. Auch die kostenlose Mitnahme von Rädern im Zug und Fahrradparkhäuser (die es aber auch in Dänemark kaum gäbe) seien hilfreich.
Klaus Bondam: „Wir Dänen radeln bei jedem Wetter, auch bei Schnee. Wenn wir angekommen sind, fühlen wir uns dann stark wie Wikinger“
„Für jeden Kilometer der mehr geradelt wird, können 90 Cent pro Jahr an Gesundheitskosten in der Gesellschaft gespart werden“, sagt Bondam. Und, so der „Radler-Papst“ weiter: „Auch die Geschäfte werden überleben, wenn es weniger Autos und mehr Fahrräder gibt. Auch Radfahrer kaufen ein.“ Menschen sollten sich klar machen, dass der selbe Mensch an einem Tag Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und Motorradfahrer sein könne. Bondam: „Das ist kein Krieg, sondern ein Wunsch für die Gesellschaft mehr auf das Fahrrad zu setzen.“ Mit einem Aufkleber-Spruch bringt er seine Idee auf den Punkt: „Radfahren ist schnell, gut für die Umwelt und lässt meinen Hintern gut aussehen“.
Im Anschluss beantwortet Bondam Fragen aus dem Publikum: Ob es Probleme mit gestohlenen Rädern in Kopenhagen gibt („Ja, viel an Bahnhöfen und organisierte Banden, die mit Transporter kommen und mehrere Räder mitnehmen“), wie viele Fahrrad-Parkhäuser es in Dänemark gibt („sehr wenige“), ob es für radelnde Mitarbeiter in Firmen Duschen gäbe („Ja, Duschen, Reinigung für die Kleidung, Bügelräume“), wann Kinder in Dänemark mit dem Radeln anfangen („Es hängt davon ab, wie gut und sicher das Kind fährt, Kinder ab 7-8 Jahre radeln bei uns schon alleine“) und ob Leih-Räder-Systeme neue Radler bringen („es hat dazu bei uns einen politischen Skandal gegeben, Kopenhagen hat in das teuerste System investiert, aber der deutsche Lieferant ging pleite. Ich denke Leih-Räder ändern nicht alles, aber ich kann das nur unterstützen. Ein neues System wäre gut, mit dem man das Rad überall abstellen kann“).
Da meldete sich auch ein Vertreter vom Bündnis Verkehrswende aus Wiesbaden zu Wort, nutzte die Gelegenheit zu einem kurzen Co-Referat und forderte 10 Euro pro Einwohner für die Zukunft des Radverkehrs in Wiesbaden. Zum Vergleich: In Kopenhagen werden laut Bondam 5 Millionen Euro pro Jahr für das Radfahren investiert.
Wer mehr wissen möchte: Diesen Sonntag, 12 bis 14 Uhr, findet ein „visionärer Frühschoppen“ im Spiegelsaal des Theaters Walhalla in der Mauritiusstraße 3 statt. Auch weitere Veranstaltungen der Reihe „Wissenschaft findet Stadt“ sind geplant.
Liebe Stadt Wiesbaden, bitte umsetzen und endlich mal liefern!!! Als Ex-Münsteraner und Neu-Wiesbadener bin ich entsetzt wie schlecht das Thema Fahrradverkehr von Verwaltung und Politik behandelt wird. Diese Veranstaltung gibt Hoffnung, belassen Sie es nicht nur bei Lippenbekenntnissen! Schauen Sie sich ruhig auch mal das Münsteraner Modell an, viele gute Ideen. Wenn Sie einen fachkundigen Bürger als Experten brauchen stehe ich gerne zur Verfügung. Beste Grüße, Michael Kobs